Bet Shemesh ist eine kleine beschauliche Stadt zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Es gibt hier keine Industrie und keine Regierungseinrichtungen und sie ist weder für Touristen noch für Terroristen besonders interessant.
Deswegen blieb unsere Stadt bisher bei Raketenangriffen wahrscheinlich unbeachtet. Bisher. Zu Beginn der letzten Woche, einige Tage vor dem Beginn des Konflikts, kursierte ein Clip in den diversen WhatsApp-Gruppen der Stadt, in dem ein arabischer Terrorist mit Raketenbeschuss auf Israel drohte, wobei er auch Bet Shemesh als Ziel erwähnte.
Im Bunker
Diese Drohung wurde wahr, als am Freitag, den 12.Mai, kurz nach 12 Uhr die Sirene in Bet Shemesh heulte. Ich saß in meinem Arbeitszimmer, das auch das besonders gestärkte Bunkerzimmer unserer Wohnung ist. Die geistesgegenwätigste Ehefrau von allen schnappte sich unsere sechsjährige Naomi und rief David (16). Als wir im Bunkerzimmer versammelt waren, schloss sie die Tür und schob die eingebaute Eisenplatte vor das Fenster. Kurz darauf hörten wir mehrere Explosionen.
Doch unsere beiden Töchter Sarah (9) und Racheli (7) waren gerade auf dem Rückweg von der Schule! Die besorgteste Ehefrau von allen griff nach ihrem Telefon, aber unsere Mädchen haben keins und waren nicht erreichbar. Die WhatsApp Gruppe der Schule meldete nichts und wir hofften, dass der Busfahrer wusste, was in solchen Situationen zu tun ist.
Nach zehn Minuten verließen wir das Bunkerzimmer und David lief zur Bushaltestelle, an der die beiden ankommen sollten, während wir die sozialen Medien durchsuchten, um festzustellen, was passiert war. Irgendwo hieß es, dass 4 oder 5 Raketen auf Bet Shemesh geschossen wurden und es einen Treffer gab. Das verstärkte unsere Panik und angespannt saßen wir auf unserem Balkon, von dem man die Bushaltestelle der Mädchen sehen konnte.
Wo sind die Kinder?
Naomi verstand nicht so richtig was passiert war, sie schaute aus dem Fenster und fragte dauernd wo die Araber sind, die auf uns schießen.
„Sie schießen mit Raketen auf uns und sind weit weg,“ versuchte ich zu erklären.
„Aber warum schießen sie auf uns?“
„Sie hassen Juden.“
„Aber warum heute?“
„Weil wir gerade im Krieg sind.“
„Ich habe Angst.“
Nach etwa 40 Minuten konnten wir endlich Sarah und Racheli aus dem Bus steigen sehen. Wir erkannten schon von weitem, dass sie weinten als sie aus dem Bus herausliefen und in die Arme von David stürzten. Endlich waren sie zu Hause und wir umarmten uns alle mit Tränen in den Augen.
Sarah erzählte uns aufgeregt was passiert war:
„Wir standen noch an der Haltestelle, als die Sirene anfing. Racheli lief mit einigen anderen in ein Gebäude, aber ich blieb zuerst an der Haltestelle und legte mich auf den Boden. Ich hatte große Angst. Dann sah, ich dass die meisten Mädchen in das Gebäude liefen und ich wollte auch Racheli nicht alleine lassen, also folgte ich ihnen in das Treppenhaus. Dann hörten wir Explosionen. Es waren viele Mädchen aus unserer Schule dort und wir drängten uns aneinander. Ich und Racheli und viele andere jüngere Mädchen weinten. Als die Sirene vorbei war, stiegen alle in den nächsten Bus und fuhren nach Hause. Wir haben auch im Bus geweint, es war schrecklich.“
„Jetzt ist es vorbei,“ versuchte David, die Mädchen zu beruhigen. „Es ist keine Rakete durchgekommen“. Die besorgteste Ehefrau von allen sprach mit den Mädchen, versuchte zu erklären und zu trösten, aber die Anspannung blieb.
Ein angespannter Schabbat
Da es Freitag war, blieben wir den ganzen Tag mit Vorbereitungen für den Schabbat beschäftigt und als wir am Abend endlich am Tisch saßen, versuchte ich, nicht über den Raketenangriff zu sprechen. Ich wollte die Kinder vor dem Schlafengehen nicht beunruhigen. Sie schienen die Ereignisse des Morgens vergessen zu haben, aber als sie schließlich schlafen gingen, kam alles wieder an die Oberfläche.
Sarah, Racheli und Naomi wollten nicht in ihrem dunklen Zimmer schlafen, fingen an zu weinen und egal was wir sagten, wir konnten sie nicht wieder beruhigen. Schließlich legten wir die drei in das Ausklappsofa im Bunkerzimmer, wo wir das helle Licht angeschaltet gelassen hatten. Das freute die Mädchen und zusammengekuschelt im großen Bett schliefen sie bald ein.
David, die coolste Ehefrau von allen und ich waren etwas ruhiger, denn die Wahrscheinlichkeit, dass eine Rakete durch den Iron Dome kommt, ist gering, auch wenn genau das einige Tage vorher in Rechovot leider passiert war. Da es Shabbat war, konnten wir nicht online gehen und lesen was gerade passiert und so gingen wir am Freitagabend besorgt, aber nicht verängstigt schlafen.
So weit so ruhig
Am Schabbatmorgen ging ich wie immer in die Synagoge, nachdem die Nacht ohne Zwischenfälle verlief. Abgesehen von verschiedenen Sicherheitsansagen wurde der Raketenangriff kaum erwähnt, unser Rabbi rief lediglich dazu auf, ruhig zu bleiben.
Während des Schabbatmehls konnten wir als Familie über die Ereignisse sprechen und die große Frage der Kinder war „warum“. David ist schon groß genug, um zu wissen was Antisemitismus ist, aber wie erklärt man kleineren Kindern, warum uns die Araber ohne Grund hassen und versuchen, uns zu töten?
Ich konnte den Kindern jedoch an der aktuellen Lage verständlich machen, dass die Geschichten der Bibel keine „Geschichten“ sind, sondern wirkliche Ereignisse, die bis heute aktuell sind. So wie die Ägypter, die Perser, die Griechen die Juden verfolgten, so taten es auch die Deutschen bei unseren Großeltern und tuen es heute die Araber.