Warum Juden eine Kippa tragen und wie sie gegen Haarausfall hilft

Als ich vor etwa 15 Jahren nach Israel kam, trug ich noch keine Kippa und ich hatte noch einige Haare auf dem Kopf. Als ich kurz darauf anfing, in einer Jeschiwa zu lernen und meine Haarpracht immer weiter zurückging, begann ich wie die anderen Bibelschüler eine Kippa zu tragen.

Zuerst experimentierte ich mit verschiedenen Ausführungen, große, die besser auf dem Kopf hafteten, kleine, die cooler aussahen und sehr bunte, die einfach nur lächerlich waren. In meiner Naivität entschied ich mich schließlich für eine schwarze, gehäkelte Kippa, ohne zu wissen, welche politische Message damit verbunden war.

Amerikaner nennen die Kippa Yarmulke, ausgesprochen Yamaka

Ich merkte auch schnell, dass die Kippa vor der heißen israelischen Sonne schützt und wie mir die modischste Ehefrau von allen versicherte, sehe ich viel besser aus, wenn die Kippa meine Glatze verdeckt.

Charedim vs Nationalreligiöse

Ich lernte damals in einer charedischen Jeschiwa und diese sogenannten Ultraorthodoxen tragen eine schwarze Samtkippa, während gehäkelte Kippas von den Nationalreligiösen getragen werden. In der Politik werden Köpfe mit gestrickten Kippas von den Ministern Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich repräsentiert, auch sie sind orthodoxe Juden, aber nicht ultra, was auch immer das bedeutet.

Im aktuellen Krieg sieht man oft Soldaten mit solchen gehäkelten Kippot, denn für die Nationalreligiösen, oder Dati Leumi auf Hebräisch, ist die Besiedlung Israels das Gebot unserer Zeit. Dazu gehört nicht nur der Armeedienst, sondern auch der Ausbau der Landwirtschaft, der Wissenschaften und der Wirtschaft allgemein.

Die Charedim hingegen konzentrieren sich vollständig auf das Studium der Tora und meiden den Kontakt zu Andersdenkenden in der Armee, den Universitäten und der Arbeit.

Diese unterschiedlichen Ideologien sorgen natürlich für Reibereien zwischen den Gruppen und da wir über Israel sprechen, wo alles extremer ist, hassen sich diese heiligen Juden schon fast gegenseitig.

In der Praxis kommt es manchmal vor, dass sich eine Kippa in der falschen Synagoge vorfindet. Kommt also eine gehäkelte Kippa zum Gebet in eine Synagoge voller Samtkippas, wird sie vielleicht etwas skeptisch angeschaut, aber da wir unseren Nächsten lieben sollen wir uns selbst, wird niemand etwas sagen. Vorbeter darf sie jedoch nicht sein.

In meiner damaligen Jeschiwa wurde meine gehäkelte Kippa als Teil meiner Experimentierphase toleriert, aber als ich heiratete, wechselte ich zu einer schwarzen Samtkippa. Damals hatte ich die politische Landschaft Israels noch nicht ganz durchschaut. Heute aber würde ich eher wieder eine gehäkelte Kippa tragen.

Die meisten Israelis, die keine Kippa tragen, sind auch gläubig, aber eine Kippa auf dem Kopf bedeutet, dass man nicht nur abstrakt an Gott glaubt, sondern auch seine biblischen Gebote befolgt.

Warum überhaupt eine Kippa?

Sucht man nach der Quelle für die Kopfbedeckung bei Männern, wird man in der Torah nichts finden. Wir wissen überhaupt sehr wenig über die Kleidung der biblischen Zeit. Erst im Talmud wird das Tragen einer Kopfbedeckung für Männer erwähnt, jedoch nicht ausdrücklich befohlen. Die Geschichte über Rav Nachman lehrt uns, dass eine Kopfbedeckung vor dem Bösen Trieb schützt:

„Die Mutter des Toragelehrten Rav Nachman bar Yitzchak wurde von einem Wahrsager gewarnt, ihr Sohn werde ein Dieb sein. Sie beherzigte seine Warnung und wies ihren Sohn an, seinen Kopf immer bedeckt zu halten, damit er die Furcht des Himmels auf sich trage. Sie sagte ihm auch, er solle um Gottes Gnade beten. Der Sohn gehorchte, obwohl er nie verstand, warum dies für seine Mutter so wichtig war.

Eines Tages saß Rav Nachman unter einer Palme und studierte die Tora, als ihm seine Kopfbedeckung vom Kopf rutschte. Plötzlich überkam ihn ein solcher Drang zu stehlen, dass er sofort auf den Baum kletterte (der ihm nicht gehörte) und ein Bündel Datteln abbiss.“

Ein anderer Weiser des Talmud, Rav Huna, ging niemals mehr als vier Ellen mit einem unbedeckten Kopf, denn „die göttliche Gegenwart (Schechina) ist über meinem Kopf“.

Eine andere frühe Quelle besagt, dass man nicht mit unbedecktem Kopf am Synagogengottesdienst teilnehmen darf.

Diese Quellen zeigen auch, dass es in talmudischen Zeiten (2.- 5. Jahrhundert) nicht allgemein verbreitet war, eine Kopfbedeckung zu tragen. In späteren Generationen wurde es jedoch zum akzeptierten Brauch, dass alle jüdischen Männer jederzeit eine Kippa tragen, insbesondere beim Gebet. Wie bei allen jüdischen Bräuchen werden sie, sobald sie zu einer allgemein akzeptierten jüdischen Praxis werden, halachisch (gesetzlich) verpflichtend.

Aus den oben erwähnten Aussagen unserer Weisen, dass das Bedecken des Kopfes mit Frömmigkeit verbunden ist, kann man viele symbolische Schlussfolgerungen für die Einhaltung des Brauchs der Kopfbedeckung ziehen. Zum Beispiel zeigt und erinnert uns das Bedecken des Kopfes immer daran, dass es etwas „über“ unseren Köpfen gibt, oder dass unser Intellekt begrenzt ist, oder dass Haarausfall ein Schicksal ist, dem man nur mit einer Kopfbedeckung begegnen kann.

Die Kippa im täglichen Leben

Das Tragen der Kippa ist also kein Gebot, sondern ein Brauch, der im Laufe der Zeit zum Symbol des Judentums geworden ist. Es muss nicht einmal eine Kippa sein, die man auf dem Kopf trägt, jede Bedeckung ist koscher. Die Kippa ist wahrscheinlich das einfachste Kleidungsstück, das man zu Hause und draußen tragen kann.

Im modernen Israel hat die Kippa neben der frommen auch eine praktische Symbolik. Israelische Frauen werden Männern mit Kippa nicht die Hand schütteln, da sie wissen, dass wir es meiden Frauen zu berühren. Vor kurzem habe ich ein säkulares Paar im Supermarkt getroffen, das ich länger nicht gesehen hatte. Mit dem Mann schüttelte ich die Hände und der Frau nickte ich zu.

Jüdisch-orthodoxe Promis wie Ben Shapiro legen den Arm nicht einmal für Fotos um Frauen.

Auch wissen meine Mitbürger, dass ich als Kippaträger nur koscher esse. So hat mich einmal eine Falafelstube davor gewarnt, dass die Küche etwas durcheinander war und es sein könnte, dass Schawarma-Fleisch mit den Falafeln in Berührung kam. Ich solle also in den nächsten Stunden besser keine Milch trinken.

Die Kopfbedeckung, ihre Farbe und der Stoff, aus dem sie hergestellt wurde, helfen dabei, einen Juden in die richtige „Schublade“ zu stecken. Im aktuellen Krieg kommt noch ein Faktor hinzu, der für jüdische Kleidung allgemein gilt: Viele Soldaten, die bisher keine Kippa trugen, tun es jetzt, zusammen mit Zizit (Schaufäden). Einerseits, um die Wahrscheinlichkeit des göttlichen Schutzes zu erhöhen und andererseits, um zu zeigen, dass sie heilige Krieger Israels sind, die in die Fußstapfen der biblischen Helden wie Samson und König David treten.

2 Kommentare zu „Warum Juden eine Kippa tragen und wie sie gegen Haarausfall hilft“

  1. Heidi Galle

    Vielen Dank für den anschaulichen Unterricht. Nun sind die Kippas keine mystischen Gegenstände mehr.

  2. Andreas Michael Elflein

    Shalom und vielen Dank, für die wertvollen Informationen hinsichtlich der typisch jüdischen Kopfbedeckung der Männer. Gruß Andreas aus Ungarn

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