Als vor einigen Wochen die Leichen der sechs Geiseln aus dem Gazastreifen geborgen wurden, legte sich eine dunkle Wolke über das jüdische Volk weltweit. Wir hatten gehofft, dass einige dieser sechs noch am Leben waren und die Nachricht, dass sie kurz vor ihrer Befreiung ermordet wurden, machte den Verlust schmerzhafter.
Gleichzeitig erreichte der weltweite Antisemitismus neue, verrückte Höhen, während in Tel Aviv und anderen israelischen Städten Anti-Regierungsdemonstranten ebenfalls durchdrehten. Die Haredim wollten nicht in der Armee dienen, aber die Reservisten und ihre Familien konnten den Wegfall der Väter nicht mehr ertragen. Fast jeden Tag starben unsere Soldaten in Gaza, während die Hisbollah ungehindert Raketen auf die Orte im Norden schoss.
Wir schienen von allen Seiten bedrängt und niemand konnte sich einen realistischen Ausweg aus dieser Situation ausmalen.
Beeper zur Hilfe
Dann endlich zeigte der jüdische Staat, was ihn so einzigartig in der Welt macht. Als der Schabbat vor zwei Wochen endete, schaltete ich meinen Computer an (während des Schabbats bleibt der Computer und das Telefon ausgeschaltet) und las die Nachrichten über die Beeper-Explosionen in den Taschen und Händen von Hisbollah Kämpfern. Während in den kommenden Tagen immer neue Details über die Aktion veröffentlicht wurden, änderte sich die Stimmung im Land von Verzweiflung in Stolz auf das „jüdische Köpfchen“, das wieder einmal auf kreative und überraschende Weise zugeschlagen hat.
Mich erinnerte die Beeper-Aktion an die biblische Geschichte von Shimon und Levi in Sichem und es scheint, als hätte die Armee die Strategie der beiden Brüder im Libanon genutzt.
Damals zog der jüdische Vorvater Jakob mit seiner großen Familie nach Kanaan und machte auf dem Weg in der Stadt Sichem (auf Hebräisch Schchem – שְׁכֶם) halt. Eines Tages ging seine Tochter Dina spazieren und wurde vom Prinz von Sichem vergewaltigt und entführt. Am nächsten Tag kam der König von Sichem zu Jakob und schlug ihm vor, seine Familie mit den Einwohnern Sichems zu vermischen und Dina beim Prinzen zu lassen, der sich in sie verliebt hatte.
Jakobs Söhne, Shimon und Levi antworteten, sie könnten keine Unbeschnittenen für eine Ehe mit Dina akzeptieren und verlangten, dass sich die Königsfamilie und alle Männer der Stadt beschneiden sollten. Merkwürdigerweise wurde diesem Vorschlag zugestimmt und die Vorhäute wurden entfernt.
Am dritten Tag nach der Beschneidung, wenn der Schmerz am größten sein soll, marschierten Shimon und Levi in Sichem ein, töteten alle Männer und befreiten ihre Schwester Dina.
Ähnlich schien es bei den Beepern der Hisbollah gelaufen zu sein, die oft in der gleichen Gegend des Körpers explodierten, aber wahrscheinlich weit mehr als die Vorhaut entfernten.
Auch war diese Aktion der Auftakt der schweren Angriffe auf die Terroristen im Libanon. Fast täglich wurden weitere hohe Offiziere der Hisbollah ausgeschaltet und schließlich erfuhr ich am Ende des vergangenen Schabbats von der Eliminierung des Hibollah-Führers Hassan Nasrallah.
Die gezielte Tötung Nasrallahs verstärkte den Stolz, der sich in unzähligen Witzen und Memes in den sozialen Medien ausdrückte. Wieder einmal hatten wir unsere Feinde ausgetrickst und ihnen einen schweren Schlag versetzt.
Es wird ernst
Die Beeper-Explosionen und gezielten Tötungen führte Israel jedoch nicht zum Spaß durch, sondern um den Frieden im Norden Israels wieder herzustellen. Die über 60.000 Vertriebenen können erst wieder in ihre Häuser zurückkehren, wenn die Hisbollah keine Bedrohung mehr darstellt, und davon sind wir noch weit entfernt.
Heute Nacht hat der Vorstoß von Bodentruppen in den Libanon begonnen und die Stimmung ist auf Angst um unsere Soldaten umgeschwungen. Seit Jahrzehnten hat man uns erklärt, wie gefährlich die Hisbollah ist, wie sie sich im Libanon befestigt hat und wie schwierig ein Krieg gegen sie sein wird. Jetzt werden wir es herausfinden.
Die ersten Bilder, die zeigen, wie unsere Söhne und Ehemänner mit ihren großen Rucksäcken und Gewehren in den Libanon einmarschieren (siehe rechts), machten unserer Freude ein schnelles Ende.
Neues Jahr
Morgen Abend beginnt das jüdische Neujahr, Rosch ha Schana und der zweitägige Feiertag endet am Freitagabend, woraufhin sofort der Schabbat beginnt. Religiöse Juden werden also von Mittwochabend bis Samstagabend keine Nachrichten hören, was mir sehr schwerfallen wird.
Rosch ha Schana ist jedoch der Tag des göttlichen Gerichts, nicht nur für Juden, sondern für die gesamte Menschheit, so dass sich zur Angst um unsere Soldaten auch ein Fünkchen Hoffnung auf ein günstiges göttliches Urteil kommt. Viele Bekannte erzählen, dass sie sich in diesem Jahr besonders inspiriert für Gebete fühlen.
Für meine Familie werden die drei freien Tage etwas schwierig, denn wir kochen an Feiertagen nicht und müssen alles im Voraus zubereiten. Die organisierteste Ehefrau von allen hat zwar alles genau geplant, aber es kann immer etwas schieflaufen. Außerdem langweilen sich die Kinder drei Tage ohne Schule, so dass sie sich wahrscheinlich oft streiten werden.
Wir haben drei Familientage vor uns, was eigentlich ganz schön sein könnte, aber den Krieg können wir nicht vergessen. Wir werden versuchen, unsere Soldaten mit unseren Gebeten zu unterstützen und hoffen auf ein gutes neues Jahr, das mit guten Nachrichten beginnt, wenn wir am Samstagabend wieder online sind.