Dusche, Sirene, Boxershorts – mein israelischer Alltag unter Raketenbeschuss

Duschen unter Raketenalarm, Babyvideos im Bunker, Strandurlaub mit Fluchtplan – ein persönlicher Bericht aus Israels neuem Alltag.

Es ist schon komisch, dass man sich wirklich an vieles gewöhnen kann. Die regelmäßigen Sirenen durch Raketenangriffe aus dem Jemen machen uns mittlerweile weit weniger Sorgen als zu Beginn des Krieges, wo auch der ständige Raketenbeschuss aus Gaza noch hinzukam und die Hisbollah zusätzlich den Norden beschoss. Früher hatten die Kinder große Angst vor der Sirene, aber jetzt sitzen sie nicht mehr so panisch wie noch vor einigen Monaten in meinem Arbeitszimmer, unserem Schutzraum.

Um die Stimmung zu lockern und sie abzulenken, spiele ich ihnen an meinem Computer alte Baby-Videos von ihnen vor.

„Racheli, du warst so süß als Baby!“ ruft Sarah dann.

„Nein, du warst viel süßer!“ ruft Racheli zurück (sie können sich nicht in einem ruhigen Ton unterhalten)

„Und ich?“ fragt dann Naomi beleidigt.

„Du bist immer noch süß!“ sagen beide Mädchen und nehmen sie in den Arm.

Nur wenn die Sirene mitten in der Nacht losheult, sitzen wir alle ziemlich belämmert da, starren vor uns hin und lauschen, um die Explosionen der Abschüsse über unseren Köpfen zu hören.

Vor einigen Tagen war ich gerade unter der Dusche, als die Sirene losging, was zu hektischen Rufen nach „Papa!“ führte, während ich versuchte, meine Dusche – jetzt etwas weniger entspannt – zügig zu beenden. Die versammelte Familie wartete bereits im Schutzraum auf mich, als ich schließlich in Boxershorts und mit Handtuch ankam.

Es ist vor allem auch der Klang der Sirene, ein langer, schriller Ton, der langsam lauter wird und dann auf und ab geht, der Panik und Angst erzeugt. Mein Gehör ist mittlerweile auf diesen Klang eingestellt, sodass ich ihn auch in vielen anderen Situationen höre. Wenn der Wind heult, klingt es manchmal wie der Beginn des Raketenalarms, auch wenn ein Motorrad anfährt, oder wenn ein anderes Geräusch im Straßenverkehr langsam lauter wird. Dann halte ich automatisch die Luft an und lausche. Manchmal treffe ich dabei den Blick eines meiner Kinder und sehe in ihren Augen, dass auch sie gerade aufgeschreckt wurden.

Es gibt mittlerweile eine App, die uns meldet, wenn eine Rakete aus dem Jemen abgeschossen wurde und an unserem Ort in wenigen Minuten ein Raketenalarm ertönen könnte. Meistens wird der Alarm ungefähr vier bis fünf Minuten später tatsächlich ausgelöst, nur manchmal nicht, je nachdem, ob Teile der abgefangenen Rakete in unserer Region landen könnten. Falls wir die Nachricht der App nicht verpassen (was auch schon vorgekommen ist), sind wir zumindest nicht so überrascht, wenn die Sirene schließlich losdröhnt.

Unsere ukrainische Putzhilfe beneidet uns um unsere Situation. In der Ukraine haben die Menschen keine Vorwarnung vor Raketenangriffen und kein Abfangsystem, das vor Direkteinschlägen schützt. Wenn die Sirene losheult, können sie nicht in einen Schutzraum in ihrer Wohnung flüchten, sondern müssen im Treppenhaus Schutz suchen. Aber in was für einem Land leben wir, in dem fast jede Wohnung oder fast jedes Gebäude mit einem Bunkerzimmer ausgerüstet ist?

This is Sparta!

Die Juden sind das friedlichste Volk der Welt und wer es nicht glaubt, soll sich einfach anschauen, wie wir uns in diesem Krieg verhalten. Aber leider leben wir in einem ständigen Krieg, bei dem kein Ende in Sicht ist. Ein Kommentator hat vor einigen Wochen geschrieben, Israel sei wie das antike Sparta, wo die gesamte Gesellschaft von Geburt an auf ständige Kriege vorbereitet wird, und mir schien dieser Vergleich passend. Das ist das Land, in dem wir leben. Seit 77 Jahren gibt es hier nur Krieg und die Soldaten, die am aktuellen Krieg teilnehmen, befinden sich nun seit fast zwei Jahren auf dem Schlachtfeld.

Ich sehe auch keine Möglichkeit, den aktuellen Konflikt zu beenden.

  • In Gaza können wir die Bevölkerung wohl doch nicht ausreisen lassen, niemand scheint sie aufnehmen zu wollen. Israel muss dort also bis auf weiteres präsent bleiben und verhindern, dass dort wieder ein Terrorregime entsteht.
  • In Judäa und Samaria gibt es unzählige Terrorzellen, die immer wieder auftauchen, egal wie viele Terroristen Israel ins Gefängnis steckt oder tötet.
  • In Syrien herrscht Chaos und Israel muss die gesamten Golanhöhen besetzen, um seine Grenzstädte zu schützen.
  • Im Libanon ist die Hisbollah weiterhin stark und wird sich nicht vertreiben lassen.
  • Im Jemen scheint es eine unbegrenzte Anzahl an Raketen zu geben, mit denen die Huthis Israel beschießen. Weder die amerikanischen noch israelischen Luftangriffe haben Wirkung gezeigt.
  • Habe ich jemanden vergessen? Ach ja, die internationale linke-moslemische Achse, die Juden weltweit angreift. Wie man damit umgehen kann, kann uns wohl nur der Messias zeigen.
  • Es würde alles viel leichter werden, wenn das Regime im Iran irgendwie zu Fall gebracht werden könnte. Danach sieht es zurzeit jedoch nicht aus.

Das ist also unser ewiger Krieg. Wir haben gelernt, dass wir es uns nicht erlauben können, unsere Feinde an unserer Grenze stark werden zu lassen, auch wenn es politisch das Einfachste ist. Wir müssen ständig aktiv bleiben und einen Feind bekämpfen, der sich hinter der Zivilbevölkerung versteckt, aus der er entsteht.

Der Hafen von Ashdod

Aber das Leben muss weitergehen und es stehen bald Sommerferien an. Wir werden eine Woche am Strand in Ashdod verbringen, direkt neben dem Hafen. Vor der Buchung unserer Airbnb-Ferienwohnung haben wir natürlich gefragt, ob es dort einen Schutzraum gibt, ältere Gebäude haben nämlich keins.

Der Hafen und Strand von Ashdod

Die Kinder freuen sich schon sehr auf den Urlaub, aber sie haben schon gefragt, was sie tun sollen, wenn der Raketenalarm am Strand losgeht. In Videos laufen die Leute immer in Richtung der nächsten Gebäude und das werden wir wohl auch tun, wenn es so weit kommt.

Ich wollte diesen Beitrag eigentlich positiv beenden, aber bin wieder im Krieg gelandet. Also habe ich ChatGPT gefragt, wie ich noch lustig die Kurve kriege.

Die Antwort war:

Großartige Vorlage – dein Text ist ehrlich, witzig und bitter zugleich, genau die Art von Humor, der unter realem Druck entsteht. Du beschreibst den Alltag in einer absurden Extremsituation mit trockener, lakonischer Selbstironie, die sehr gut funktioniert.

Und ja – du kannst definitiv mit Humor abschließen, ohne die Ernsthaftigkeit zu untergraben. Hier ein Vorschlag:

Vielleicht packe ich fürs Meer noch einen faltbaren Betonbunker und eine aufblasbare Eisenkuppel ein.

Gibt’s bestimmt bald auf Amazon – mit Prime-Versand aus Tel Aviv.

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