Der verrückteste jüdische Feiertag

Von allen verrückten jüdischen Feiertagen, ist Pessach wahrscheinlich der Verrückteste. Eine Chronik unseres Pessach-Balagans.

Von allen verrückten jüdischen Feiertagen, ist Pessach wahrscheinlich der Verrückteste. Eine Chronik unseres Pessach-Balagans.

Der Feiertag beginnt im Grunde bereits einen Monat vorher, sofort nach Purim. Die fürsorglichste Ehefrau von allen gab mir nach Purim einen Tag, um meinen Rausch auszuschlafen, den ich nicht hatte, aber es war trotzdem nett von ihr. Dann musste ich unser Schlafzimmer putzen und von allen Chametzresten befreien. Die Kinder hatten in der Schule Schilder vorbereitet, die davor warnen, die geputzten Zimmer mit Chametz zu betreten.

Koscher für Pessach. Nicht mit Chametz betreten.

Das Schlafzimmer war also schon Wochen vor Pessach Chametzrein, niemand durfte es mit Keksen, oder anderem Krümelzeug betreten.

Als nächstes waren die Kinderzimmer dran. David putzte sein Teenagerzimmer ziemlich schnell, aber die drei kleinen Mädchen waren nicht sehr hilfreich und wir putzten ihr Zimmer für sie. Eigentlich ist der Pessachputz kein Frühlingsputz, man muss nur sichergehen, dass es kein Chametz gibt, aber wenn man schon dabei ist…

Es kann durchaus sein, dass die weltweite Tradition des Frühlingsputzens vom jüdischen Pessachputz inspiriert wurde.

Wir näherten uns in den Wochen vor Pessach langsam dem großen Monster, das sich mit aller Kraft gegen den Pessachputz wehrt, der Küche. Hier wird es kompliziert, denn Chametz bleibt an Küchengeräten kleben und versteckt sich in jeder Ritze. Man müsste Besteck, Teller und Küchengeräte in kochendem Wasser kaschern (koscher machen), um sie am Pessach benutzen zu dürfen, aber das tun die Wenigsten.

Stattdessen benutzen wir Plastikgeschirr und Geschirr, das wir extra für Pessach aufheben. Etwa eine Woche vor Pessach war unsere Küche koscher, so dass wir dort kein Chametz mehr essen konnten. Dazu gehörte auch der Kühlschrank, den David und ich etwa zwei Stunden putzten, was auch sehr nötig war.

Ab jetzt aßen wir unsere Cerealien, Brote, Kekse, Pasta, Pizza und alle anderen leckeren Sachen, auf die wir bald verzichten mussten, auf dem Balkon. Als unsere Mädchen jedoch ab und zu mit ihren Pitas in die Wohnung kamen, flippte die entspannteste Ehefrau von allen aus und seitdem mussten sie draußen vor dem Haus essen. Zusammen mit den Kindern der Nachbarn.

Je näher Pessach rückte, desto geringer wurde unser Chametzkonsum und wir fanden immer weniger Nahrungsmittel, die wir essen konnten. Es gab dann fast jeden Tag Würstchen mit Pommes auf Plastiktellern. Auch fand ich beim Putzen einen Sechserträger Bier (auch Chametz), den ich noch schnell vor Pessach austrinken musste.

Schließlich war am Tag vor Pessach die gesamte Wohnung nicht nur sauber, sondern Chametzrein und wir waren bereit für den Auszug aus Ägypten.

Der Pessach-Seder

All die Putzerei und das magere Essen auf Plastiktellern gaben uns ein bisschen das Gefühl Sklaven des Pharao zu sein wir erwarteten die erste Pessach-Nacht mit Vorfreude, fast wie die Israeliten in Ägypten.

Am Pessach-Seder liest die gesamte Familie aus der Haggadah, in der verschiedene Geschichten über den Auszug aus Ägypten stehen, aber auch genaue Anweisungen, was man wann und auf welche Weise essen und trinken muss.  

Zum Beispiel muss jeder Anwesende vier Becher Wein, oder Traubensaft trinken, aber die Becher darf er sich nicht selbst eingießen, da wir uns am Pessach wie Monarchie fühlen sollen. Aus diesem Grund soll der Wein auch getrunken werden, während man sich zur Seite neigt, was Adelige in antiken Zeiten getan haben, aber was heute eher unbequem ist. Den Kindern machen diese Symbolhandlungen anfangs Spaß, aber da der Seder ziemlich spät beginnt, nimmt ihr Enthusiasmus im Laufe des Abends schnell ab.

Um dem entgegenzuwirken hatte ich mir Gummibärchen gekauft, die ich den Kindern gab, wenn sie eine Frage über den Auszug aus Ägypten stellten. Beim Pessach-Seder geht es nämlich vor allem um Erziehung. Das wichtigste Gebot des Abends, neben dem Verzehr der Matza, ist die Vermittlung der Tatsache, dass das Volk Israel von Gott mit Wundern und Zeichen aus der Knechtschaft Ägyptens befreit wurde. Jedoch nicht, um frei zu sein, sondern um einen neuen Herrscher zu haben, den Schöpfer des Universums.

Während unser alter Herrscher in Ägypten uns lediglich als Arbeitskraft ausnutzen wollte, will unser aktueller Herrscher, dass wir unser volles menschliches Potenzial ausleben, unsere Mission auf der Welt finden und erfüllen und die Welt zu einem besseren Ort machen. All diese tiefen Ideen sollen den Kindern vermittelt werden und unsere Weisen raten dies zu tun, indem man die Kinder ermutigt Fragen zu stellen.

Naomi ist gerade in einer Phase, in der sie sowieso dauernd Fragen stellt und sobald ich die Gummibärchen auf den Tisch gelegt hatte, bombardierte sie mich. „Warum trinken wir Traubensaft? Warum vier Becher? Warum essen wir Matza? Warum? Warum? Warum? Nach einigen Minuten war ihr Teller voller Gummibärchen, während die anderen Kinder noch über ihre erste Frage nachdachten.

Das eigentliche Essen am Sederabend beginnt nachdem fast die gesamte Haggadah durchgearbeitet wurde. Dabei beißt man ab und zu in eine Matza, oder isst eine kalte Kartoffel mit Salzwasser, oder macht sich ein Sandwich aus einem Salatblatt, Matze und einem Charosset-Aufstrich (keine Ahnung was da drin ist). Man fühlt sich dann, wenn das Essen beginnt, irgendwie hungrig, aber nicht so richtig, da man vorher viel gesnackt hat. Bei uns gab es Hühnersuppe mit Kartoffeln, da Nudeln Chametz sind, aber die Kinder waren gegen 22 Uhr bereits nicht mehr in der Lage, viel zu essen.

Schließlich hatten wir unsere Suppe geschlürft, das letzte notwendige Stücke Matza gegessen, das Tischgebet gesprochen und den letzten Becher Traubensaft getrunken. Erschöpft fielen wir alle in unsere Betten.

Die Pessach-Woche

Aber der Spaß war noch lange nicht vorbei. Pessach dauert eine Woche und endet mit einem weiteren Feiertag, wobei auch der Schabbat dazwischen liegt. Die Kinder hatten natürlich keine Schule, aber ich musste arbeiten.

Viele Familien machen in dieser Zeit Ausflüge und die Straßen Israels sind verstopft. Glücklicherweise blieben auch viele Nachbarn in diesem Jahr zu Hause und unsere Kinder konnten mit ihren Freunden spielen.

Grillen ist eine gute Möglichkeit Chametz zu vermeiden.

Dann war es auch schon Freitag und es hieß kochen und putzen für den Schabbat und wieder lange essen und relaxen. Am Sonntagabend begann der letzte Pessachtag und dafür mussten wir wieder kochen und putzen und dann lange essen und viel relaxen. Der Montag war also frei, aber sobald am Abend der Feiertag und damit Pessach zu Ende war, mussten wir alle Pessach-Utensilien aus der Küche entfernen. Das Pessach-Geschirr wurde gespült, getrocknet und im Pessach-Schrank verstaut, während unsere normalen Utensilien herausgesucht und wieder aufgestellt wurden.

Erschöpft fielen wir auch an diesem Abend ins Bett, aber wir trösteten uns mit der Vorfreude auf die frischen Brötchen, die wir am nächsten Morgen kaufen würden. Natürlich hatten die Kinder am Dienstag keine Schule, denn die Lehrer in Israel sind gewerkschaftlich gut organisiert und arbeiten am Issru-Chag nicht. Der Issru-Chag ist der Tag nach einem Feiertag und hat keine praktische Relevanz, außer für Lehrer.

Nach dem Feiertag ist vor dem Feiertag

Am Mittwoch begann die Schule wieder, aber der Freitag, an dem wieder frei war, war nicht weit entfernt. Nach zwei Tagen war es also wieder soweit, kochen, putzen, viel essen und relaxen. Schließlich begann am Sonntag wieder die reguläre Schule und wir konnten kurz aufatmen und die Ruhe zu Hause genießen.

Es ist schwer zu erklären, aber auch wenn es nicht so klingt, die Feiertage sind schon ziemlich anstrengend. Essen und relaxen steht zwar auf der Liste der Aktivitäten, aber auch viel beten in der Synagoge, die Kinder müssen unterhalten werden und irgendwie habe ich nach solch einer Phase von Feiertagen immer das Gefühl, dass ich Urlaub brauche, aber ohne Kinder.

Den bekomme ich jedoch nicht, denn unser Meister ist ein Gott mit hohen Ansprüchen und hat bereits die nächste Aufgabe für uns arme Juden geplant. Nach Pessach beginnt nämlich die Zeit der Omerzählung, in der wir uns aus Schawuot vorbereiten.

Darüber aber mehr in einem anderen Beitrag. Nur so viel sei verraten, ich darf mich bis Lag Baomer, den 33. Tag der Omerzählung, nicht rasieren und mir die Haare schneiden. Mit wächst also ein Vollbart, der juckt und kratzt, während die paar Haare auf meinem Kopf nur an den Seiten wachsen.

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